53-
Landes ist, darf man nicht fiir einen jener niederen Volksdialekte nehmen, denen die Sprache der Gebildeten, der volle Ausdruck der Poesie und des öffentlichen Lebens, gegenüberstände; sondern sie ist eine in sich abgeschlossene Art, eine Species der deutschen Sprachfamilie,- welche, vermöge ihrer Fülle und Bildsamkeit, nicht ungeeignet scheint, sich neben dem Hochdeutschem nach ihrem eigenen Triebe und Gesetze, zu entwickeln und geltend zu machen. Unter· der Hand eines begabten Schriftstellers, kann das Flamändische viel Ausdruck und Reiz annehmen; denn mit der Milde und Natürlichkeit des Niedersächsischen verbindet es die lebendigen in alle Schattirungen wandeln- den Vokallaute der englischen Mundart.
Sehr wahr heißt es weiter in dem angeführten Aufsatz-e: »Ein Volks- dialekt, wie jede andere Sprache , kann sich im Leben nicht erhalten, wenn er nicht fortdauernd kiinstlerisch gebildet wird, d. h. ohne selbstständig be- stehende Literatur. Wir wenigstens erinnern uns keiner Volkssprache, die sich wesentlich von der Sprache der gebildeten Volksklassen unterscheidet, die nicht in Lied und Romanze wenigstens eine gewisse künstlerische Ausbildung erhalten hätte. Man gedenke nur der verschiedenen italienischen Volksdia- lekte, welche reiche geschriebene und gedruckte Literatur bieten sie den Freun- den solcher Studien; gleiche Ausbildung besitzen die verschiedenen Dialekte der pyrenäischen Halbinsel. Wer kennt nicht die reiche, bis in die neueste Zeit fortgeführte Literatur der Provence; und ebenso bestehen auch in der Bretagne Schauspiele und Romanzen in Menge, welche diese Sprache zu einer Schriftsprache ausgebildet haben, ja wenn man den Erzählungen der verschiedenen Reisenden, und den Versicherungen und Angaben französischer Literatoren Glauben beimessen darf, pflanzt sich in dieser merkwürdigen Pro- vinz eine Schule Volksdichter fort, die, aus dem Volke entsprossen, immer noch beschäftigt sind, diesen Dialekt künstlerisch zu bilden.« —-
Durch den Anbau der Dialekte in der Literatur —- eine Erscheinung, die gegenwärtig in Deutschland bemerklich wird, — treten sieh die einzelnen Stämme eines Völkerganzen wieder näher. Das naive Bewußtsein des Landbewohners theilt sich den freiern Ständen erquickend mit, die ihre künst- liche Existenz gern mit den Weisen des Volksliedes, mit dem Gesange eines Hebel, eines Burns, erfrischen. Die Stimmen des Volkes sind die Klänge der Vergangenheit, in denen wir oft am reinsten die Naturanlage, das Ge- ·Müth, den sittlichen Werth einer Nation, in ursprünglicher Einfachheit, er- kennen. Das Neuerwachen dieser Stimmen, welche Deutschland an seinen Grenzen nicht minder, als in seinem Jnnern vernimmt, scheint auch mit je- ner Geistesrichtung im Allgemeinen zusammenzuhängen, durch welche Deutsch- Hand hesszutage seine alte· Literatur und Sprache, seine erste Jugend- Wieder IMVOVVUka Das deutsche Leben ist in diesem Jahrhundert in seinem tiefsten
8