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Wenn wir die Annalen der Bildungsgefchichte entrollen, so begegnen wir Zeiträumen und Völkern, gleich reich an That und Darstellung; der Himmel und die Erde lächelten ihnen zu gleicher Zeit, und die Namen eines Perikles, eines Franz des Ersten, einer Elisabeth, eines Ludwig des Vierzehnten, strahl- ten nach allen Seiten. Andere dagegen, eben so arm an Helden als an Schrift- stellern, hatten im Ganzen genommen weder denkende Köpfe , noch streitende Arme, weder Federn, noch Degen. Hier entfaltete sich eine merkwürdige Größe der Begebenheiten und eine nicht minder erstaunenswerthe Mittelmäßigkeit der Schriften: so sahen wir in Frankreich die letzten Jahre des achtzehnten und die ersten des neunzehnten Jahrhunderts verfließen. Dort war Alles umgekehrt, und Eonrad Celtes hatte Kaiser Friedrich den Dritten, Montesquieu, Vnffon, Rousseau und Voltaire hatten einen Dubois, eine Pompadonr und das Parla- ment Maupeou zu Zeitgenossen.
Wir verlangen von der Geschichte die Erklärung dieser Erscheinungen, und nur indem wir mit ihrem Lichte alle Seiten der Gesellschaft beleuchten, glau- ben wir die Elemente des Hervorragens oder der Unzulänglichkeit dieser oder jener Epoche, dieses oder jenes Volkes erfassen nnd unterscheiden zu können, je nachdem sich die dorbildenden und die entscheidenden Perioden, sdie Zeiten des Triumphs, des Kampfs, des Verfalls und des Uebergangs vorbereiten und vollenden. Wir sehen zugleich ein, daß, wenn in der Dauer der Natio- naleristenzen die Darstellung immer im Einklang mit dem Gedanken ist, es geschehen kann, daß diese nicht mit den Thaten übereinstimmen, daß oft Na- tionen, wie Einzelmenschen, so zu sagen ein ideales Leben außerhalb ihres prak- tischen Lebens haben; daß man nicht zsu sehr zu erstaunen braucht, wenn in Frankreich das Zeitalter, welches dem Aenßern nach das ausschweifendste und leichtsertigste war, sich im Grunde als das kräftigst erneuernde darstelltez wenn das Ungestümste und Glänzendste auf dem Schlachtfelde im Cabinete das furchtsamst Klaffische war, wenn endlich dasjenige, welches sich im wirk-· lichenLeben als das Gesetzteste und Spießbiirgerlichste zeigt, sich mit allem Un- gestüm in die heftigsten Ausschweifungen einer ercentrischen Literatur stürzt. Nun siige man-noch hinzu, daß es Beschaffenheiten der Gesellschaft gibt, wo man sie ihrer Gegenwart entfremdet meinen möchte, indem sie sich auf der einen Seite, wie sein Greis, nur damit beschäftigt, die Vergangenheit zu rühmen und zuriickzuwiinschen, auf der andern Seite aber, wie ein Jüngling, sich an Uto- pieen weidet und an einer erträumten Zukunft erbaut.
Aber- wenn so viele geistige-und sittliche Verschiedenheiten der Zeiträume und der Völker fiir uns ein anziehender Gegenstand der Beleuchtung sind, so erscheinen uns die Aehnlichkeiten und« Analogieen derselben unseres Studiums- noch würdiger.
Allen örtlichen und zeitlichen Verschiedenheiten liegt immer die-gleiche und